Die Loretokapelle in Bürglen

Loretokapellen stellen die wichtigsten Sekundärreliquien der – nach Kirchenlehre – in den Himmel aufgefahrenen Gottesmutter dar. Die Kapellen sind Nachbildungen ihres ehemaligen Wohnhauses, eines kleinen, spätmittelalterlichen Baus, der einst von Engelshand ins italienische Loreto transloziert worden sein soll. Die Loreto-Rezeptionswelle erfasste ab dem 17. Jahrhundert nahezu das gesamte katholische Europa. Der 1661 geweihte Bürgler Bau war die vierte Loretokapelle der Schweiz und krönte den Kapellenbauboom des 16. und 17. Jahrhunderts im Urner Schächental.

Der Bautyp und die schlichte Ausstattung einer Loretokapelle waren festgeschrieben. 1885 ließen die Bürgler ihre Kapelle jedoch vollständig umgestalten. Der tiefgläubige spätere Benediktinermönch Josef Maria Gisler überzog die Wände mit bemalten Gobelins. Fortan wähnte man sich inmitten von Engelscharen. Der Entwurf ebnete Gisler den Weg in die Beuroner Kunstschule.

1960 wurde der unter den Gobelins gut konservierte Originalzustand wiederhergestellt. Das Rückbauschicksal traf fast alle um 1900 entstandenen Kirchenausstattungen in Uri und hinterließ eine Lücke in der Stilgeschichte – umso wichtiger ist ihre Dokumentation.
__

Marion Sauter, Ein Wallfahrtstrend und ein Gnadenbild. Die Bürgler Loretokapelle, in: Loreto. Festschrift zum 350-jährigen Jubiläum der Loretokapelle Bürglen. Altdorf 2011, S. 26–70
Marion Sauter, Josef Maria (P. Mauritius) Gisler OSB. Werkverzeichnis, ebd., S. 97–114

Die Bürgler Loreto-Entwürfe von 1885 wurden 2012 in der Sonderausstellung «Herrlichkeiten» im Textilmuseum St. Gallen gezeigt.

→ Neue Urner Zeitung 2.11.2011
→ Urner Wochenblatt 1.11.2011
→ Neue Urner Zeitung 11.10.2011